REFLEXIONEN NACH DER KONFERENZ
XXXII. Deutsch - Polnischen Symposium
Unsichere Zeiten – Vom Trauma zur Genesung
Bydgoszcz, 28 - 30 September 2023
Werner Schütze
Anmerkungen eines involvierten Beobachters (Wahrheitsgehalt wie immer ohne Gewähr).
Ich möchte beginnen mit einem Loblied auf die Erfindung des Speisewagens: Man stelle sich vor, wie aus verschiedensten Regionen unseres Landes Menschen sich in Bewegung setzen, auf unterschiedlichsten Wegen, alle mit dem Ziel vor Augen, vor Erreichen des endgültigen Zielbahnhofs sich im Speisewagen des PKP Zuges zu treffen, um dort, nach entsprechenden Absprachen auf WhatsApp, in die freudigen Gesichter der anderen Reisenden zu blicken, die alle dasselbe Ziel lockt, um eine erste Witterung aufzunehmen und bei Bydgoszcz oder Cappuccino vorab Dringliches zu klären. So vergeht die Zeit. Zeit, um unseren Seelen die Gelegenheit zu geben nachzukommen, während die Körper schon da waren.
Und dann die vereinbarte Vorstandssitzung, dicht gedrängt in einem Teil des Speisesaals- so dicht saßen wir übrigens noch nie zusammen- für letzte Absprachen zum geplanten Programm und Überlegungen zu künftigen Treffen. Die Überraschung für mich war das Erscheinen des polnischen Ehrenvorsitzenden, der mit großer Selbstverständlichkeit seinen Platz einnahm und die Gelegenheit auch nutzte, um uns für die nächste gemeinsame Planungssitzung nach Cogito in Krakau einzuladen. Gekonnt!! Und kein Wort zu den Geschehnissen und Vorkommen der vergangenen Jahre, die uns doch auch „aufgemischt“ hatten. Ein weiteres Tabu demnach. Der allgemeinen Stimmung tat das keinerlei Abbruch, ich hatte die Assoziation der Heimkehr des „verlorenen Sohnes“. Es war ja auch deutliche Freude (Erleichterung) über die Wiederkehr zu verspüren. Na gut, dann… gehen wir zur Tagesordnung über.
Nach einem Spaziergang auf die Mühleninsel trafen wir in der Młyny Rothera ein. Ein aufwändig restaurierter alter Speicher, in dem wir zwischen dem Stützgebälk Platz nahmen für den Eröffnungsvortrag zum Thema „Unruhige Zeiten“. Nach der üblichen freundlichen Begrüßung und den Grußworten begann Prof. Cichocki damit , deutlich zu machen , dass er nicht darauf eingestellt sei zu PsychiaterInnen zu sprechen, aber mir war das gerade recht, dass er in sehr verständlicher Weise (und das in angenehm ruhiger Übersetzung- Arek und Helena waren in diesen Tagen in blendender Form) zu uns sprach, da wir als Publikum doch auch sehr gemischt waren. Er beschrieb das, was wir unruhige Zeiten nennen, in den Gewissheiten unsicher und brüchig geworden sind und Unvorhersehbarkeiten zunehmen und das in bisweilen furchterregender Art. Er sprach vom Chaos, auf das wir uns einzustellen lernen müssen, wie schon vor uns Jahrtausende und vielerlei Kulturen. Dabei habe Chaos ordnende und zerstörende Funktionen, unserer aller Kulturgeschichte ist angefüllt mit Mythen zu diesem Thema, was in den zurückliegenden Jahren zugunsten eines „Machbarkeitsmythos“ in den Hintergrund trat. Ob hier ein Zusammenhang mit dem „Untergang der Transzendenz „in unserer Kultur besteht?. Rational sei ja nur noch, was messbar sei und „gelte“. Wunder, Fehler und Zufall fallen als Erkenntnisquellen aus. Geheimnisse fallen ebenfalls weg zugunsten eines fragwürdigen Versprechens, das es absehbar die „perfekte Ordnung“ in unserer Welt geben wird. Die Wissenschaft könnte es richten? Schön wär’s.
Er führte eine Reihe von Beispielen auf, die uns mit dem Phänomen der Unvorhersehbarkeit konfrontiert haben wie 9/11, die Finanzkrise, die Pandemie, den Klimawandel und der Überfall auf die Ukraine. Dabei hat er das Phänomen der zunehmenden Migration noch garnicht erwähnt. Kann man Chaos kontrollieren? Hat das Chaos auch etwas Kreatives im Sinne von Krise? Wie bewältigen wir Chaos? Selbst wenn wir scheitern macht das Leben Sinn? Es gibt immer etwas, das größer ist als wir selbst. Ich mußte daran denken , dass doch die Kraft des Miteinanders in den verschiedenen Kulturen dazu beigetragen hat, zumindest ein Überleben zu sichern. Der Individualismus unserer Zeit scheint das zu erschweren, aber es bleibt die Chance, sich darauf zu besinnen.
Mir hat gut gefallen, dass viel Stoff zum Nachdenken angeboten wurde, ohne Lösungsvorschläge anzubieten. Stoff, von dem ich mir gewünscht habe, dass er in unterschiedlichsten Situationen aufgegriffen und weiter bedacht oder besprochen werden kann.
Es war insbesondere der Gedanke, der aus der Kraft des Miteinanders hervorging, der mich ansprach und weiter durch die Tagung begleitet hat, um daran zu denken, wie das, was vorgetragen wurde, dazu beitragen kann, Beziehungen zu verbessern. Wenn wir den Anderen brauchen, oder die Anderen, um krisenhafte Zuspitzungen zu überwinden, liegt es nahe, unser Tun daran zu messen, oder nicht? Jazz und gutes Essen tragen übrigens auch dazu bei, selbst ohne Alkohol! Sogar nach schwerer gedanklicher Kost. Unnötig zu erwähnen, dass sich ein „harter Kern“ der Teilnehmer noch in der Bierhalle einfand, etwas Nachzubesprechen gibt es immer, sind doch die Zeiten zwischen den offiziellen Teilen des Programms von unschätzbarem Wert!
Am nächsten Morgen erlebte ich die nächste Überraschung: Andrzej und Patrick hatten den Tagesvorsitz, und siehe da, Andrzej bemächtigte sich in gewohnt routinierter Weise der Bühne und trug sein Programm vor. War irgendetwas davon vorbesprochen oder hatte er einen Freibrief? Ich dachte für mich: Reicht man ihm den kleinen Finger, muss man damit rechnen, den Arm herzugeben. Schade, dass es mir schwerfällt, das einfach so hinzunehmen. Schließlich kam dann aber Ralf zu Wort der zum Thema der Gewalt im stationären Setting den Stand der „verzahnten“ Diskussion vortrug. Ein nicht leicht zu lösendes und zu lebendes Dilemma, die Rechte der Beteiligten in der Balance zu halten.
Ich dachte daran, sich immer wieder bewusst zu machen, dass mindestens seit Goffman und seinen Ideen zu geschlossenen Institutionen eben dies immer mit gedacht sein sollte und… soweit ich mich erinnere, hing die Bewältigung der benannten aufgeladenen Situationen voll drohender Gewalt und Verletzungen sehr von der grundsätzlichen Bereitschaft des jeweiligen Teams zu Kooperation und Wahrung der nötigen Haltung ab. Man schafft es nur gemeinsam.
Danach hörten wir Bewegendes über den Einsatz von Psychologen und Betreuern, überwiegend im Ehrenamt zur Bewältigung des unerträglichen Leides, das der Krieg gebiert, und Soldaten, (geflüchtete)Zivilisten, Verletzte, Angehörige von Verstorbenen und die Kinder. Schließlich auch die Volontäre, die sich der Hilfe verschrieben haben. Auch hier kann dem Gespenst des Krieges nur in Solidarität und Gemeinsamkeit begegnet werden.
Kaffeepause.
Und nun zum Trauma: Ich habe selten in so launig -temperamentvoller und unterhaltsamer Weise über Trauma referieren hören. Begleitet von Powerpoint- Folien und schwungvoll ans Whiteboard gezogene Linien. Ja, der Wissenstand war gut aufbereitet. Für den seit 20 Jahren mit dem Trauma beschäftigten Beobachter fehlte mir etwas Nachdenklichkeit und die Würdigung des manchmal langen und mühseligen Ringens um ein besseres Leben und die nötige Skepsis gegenüber dem Stand der Wissenschaft, der immer nur der gegenwärtige sein kann, Irrtümer eingeschlossen.
Die dazu passende Geschichte, in der sich all das wiederfand, was im vorangehenden Vortrag zur Sprache kam, trug Michał vor. Er nahm sich ausreichend Zeit, um uns den Kampf nahezubringen, den es bedeutet, sich mit dem, was Psychotisch bedeuten kann, auseinanderzusetzen, ein kräftezehrendes Ringen um im Leben zu bleiben, der bedrohlichen Einsamkeit der „erlebten Einzelzelle“ etwas entgegenzusetzen oder sich wieder nach der persönlich erlebten Hölle in das Leben hinein zu bewegen. Jede dieser Geschichten ist auf ihre Art einzigartig, was uns Professionelle ermutigen könnte, diese Einzigartigkeit anzuerkennen, dass es keine Lösungen gibt, die sich anbieten, sondern nur unterschiedliche Wege, auf denen Begleitung Gutes zu tun in der Lage ist. Eine Begleitung die sich auszeichne durch Freiräume, Treue und Loyalität. Liebe, Freundschaft und Zärtlichkeit, Aufgeschlossenheit wirken hier. Für mich spielt die Fähigkeit des „Nicht-Wissen- Könnens“ eine besondere Rolle.
Ich ging nachdenklich und auch etwas erschöpft in die Mittagspause, aus der heraus wir in die verschiedenen Workshops strebten. Eine der Möglichkeiten, uns themenzentrierter in die Augen zu blicken und miteinander über das jeweilige Thema und das, was dazu im Raum ist, zu sprechen. Unsere jährlichen Treffen leben ja nicht nur davon, Informationen zu erhalten oder auszutauschen, sondern auch davon, sich persönlich einbringen zu können, sich zu beteiligen. Zwar gibt es alle die Pausen und die Abende, das gemeinsame Frühstück und die festlichen Abende, an denen häufig sehr viel offener ausgesprochen wird, was im offiziellen Kreis von Sitzungen und dem Programm unsagbar bleibt. Das hat in mir einen Wunsch wiederbelebt, ob nicht ein weiterer Workshop angeboten werden könnte, um der Möglichkeit eines persönlicheren Austausches und Kennenlernens den nötigen Raum zu geben.
Die anschließenden Berichte aus den verschiedenen Workshops in ihrer persönlichen Form, haben mich ermutigt, dies hier so aufzuschreiben.
Der festliche Abend fand etwas außerhalb der Stadt in Ostromecko statt. Dort stehen sowohl ein neues als auch ein altes Schloss, heute Museum und Veranstaltungsort. Prachtvoll, selbst noch im Dunkel. Ebenso das Essen und natürlich wieder viele Gespräche in denen Dinge zu Wort kommen, die in mehr offiziellen Momenten oder im Program nicht gesagt werden. Ich war erstaunt, welche Unterschiede und Klagen es von jeder Seite gibt, die als Tabu in den offiziellen Treffen verhindern, sich besser kennen zulernen, zu fragen, zu diskutieren. Wieviel Energie solche Tabus „absaugen“, mag dahingestellt bleiben, einer neuen Kreativität stehen sie sicher im Wege.
Am nächsten Morgen kam ich mir ein wenig vor, als ob ich nachsitzen mußte. Susanna berichtete zum Stand der Diskussion um Recovery. Der Entsprechende Workshop am Vortage hat mir dazu besser gefallen, gab es doch mehr Möglichkeiten verschiedene Perspektiven zu hören. Der Ordinarius der Fakultät für Psychiatrie in Bydgoszcz, Viktor referierte an schlecht lesbaren Folien entlang zum Stand der Behandlung von Traumaopfern in der Gemeindepsychiatrie. In der Gemeindepsychiatrie? Welcher? Oder habe ich nicht richtig zugehört? Ergebnisse vorrangig aus den USA über die Behandlung oder Wirksamkeit von Behandlung dominierten den Inhalt. Wissenschaft ist zu gewissen Zeiten echt anstrengend. Aber schließlich befanden wir uns ja auch als Gäste in den heiligen Hallen der Alma Mater.
Danach war es Zeit für Thomas, der etwas zu Fazit und Perspektive sagen wollte. Ich erinnere mich an den angenehmen Klang seiner Stimme, die mit den Ausführungen meine eigenen inneren Bilder begleiteten, die an mir in dem Moment vorbeizogen. In Bezug auf die Perspektive gebrauchte er Worte wie: Mut, Visionen Träume, Erfahrungen, Verständigung, Freundschaft und den offenen Dialog.
Schließlich noch eine abschließende Diskussion zum Tag und zur Gestaltung der Tagung. Wohl gefühlt habe ich mich durchaus. Ich mag nur keine zu großen Hörsäle für Treffen wie unsere. Allein die Sitzverteilung sprach für mich Bände. Es gibt Sitzanordnungen, die ein sich Anschauen und besseres Kennenlernen des jeweiligen Nachbarn ermöglichen. Für mich bleibt ein Leitmotiv solcher Tagungen: Wie können wir dazu beitragen, dass sich die Beziehungen unter den Anwesenden verbessern?
Und da es immer der gemeinsame Vorstand ist, der die nächste Tagung plant und organisiert, sind wir aufgefordert, uns Gedanken über die Qualität unserer Beziehungen zu machen mit der Option, vielleicht doch offener über Landesgrenzen hinweg miteinander umzugehen. Das wäre mein Wunsch.